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11.9.2006 taz Ausland 154 Zeilen, DOMINIC JOHNSON S. 10
Die Ergebnisse der Parlamentswahl bescheren niemandem eine absolute Mehrheit. Kabilas Partei liegt vorn, erhält aber nur knapp über ein Fünftel der Sitze. Kleinparteien und Unabhängige werden über die Mehrheitsverhältnisse entscheiden
AUS GOMA DOMINIC JOHNSON
Die Wähler der Demokratischen Republik Kongo haben sich gegen eine starke Regierung entschieden. Nachdem bereits das am 20. August veröffentlichte Ergebnis der Präsidentschaftswahl vom 30. Juli keinen Sieger im ersten Wahlgang hervorbrachte, gibt es mit dem am 7. September veröffentlichten Ergebnis der gleichzeitig stattgefundenen Parlamentswahl nun auch keine parlamentarische Mehrheit.
69 Parteien teilen sich die 500 Sitze der neu gewählten Nationalversammlung, dazu kommen 63 Unabhängige. Von den 69 Parteien haben 31 je einen Sitz, 12 haben zwei, und lediglich acht Gruppierungen haben überhaupt eine zweistellige Zahl von Abgeordneten. Präsident Joseph Kabilas "Volkspartei für Wiederaufbau und Demokratie" (PPRD) ist mit 111 Sitzen die stärkste Fraktion; danach kommt mit 64 Abgeordneten die "Kongolesische Befreiungsbewegung" (MLC) des einstigen Rebellenführers Jean-Pierre Bemba, der bei der kommenden Stichwahl um das Präsidentenamt gegen Kabila antreten wird.
Diese beiden Schwergewichte hatten zwar in weiser Voraussicht breite Wahlbündnisse aus mehreren Dutzend Parteien gegründet, aber auch die reichen nicht: Kabilas "Allianz der Präsidialen Mehrheit" (AMP) kommt auf etwa 224 Mandate, Bembas "Sammlung kongolesischer Nationalisten" (Renaco) auf 116. Die genaue Zahl ist noch unklar, da die Mitgliedschaft dieser Bündnisse je nach politischer Konjunktur schwankt. 42 der 500 Parlamentarier sind Frauen.
Bevor das erste vom gesamten Volk freigewählte Parlament der kongolesischen Geschichte am 22. September im Volkspalast von Kinshasa zu seiner konstituierenden Sitzung zusammentritt, müssen das Kabila- und das Bemba-Lager also kräftig werben, um sich zuerst das Parlamentspräsidium und damit den Zugriff auf die parlamentarische Geschäftsordnung zu sichern und dann eine mehrheitsfähige Regierungskoalition zu schmieden. Eine Schlüsselrolle könnten dabei die Unabhängigen spielen, zu denen zahlreiche reiche Geschäftsleute gehören, die sich teuer verkaufen dürften.
Auch sie werden ihr Mäntelchen wohl erst dann nach dem Wind hängen, wenn klar ist, woher der weht - also wenn die Stichwahl um das Präsidentenamt am 29. Oktober die Machtfrage im Kongo beantwortet hat. Bei der ersten Runde am 30. Juli hatte Kabila im Osten des Kongo gesiegt, Bemba im Westen. Nun ist die Sorge groß, dass nach der Stichwahl die unterlegene Landeshälfte das Ergebnis nicht anerkennt und das Land auseinanderdriftet. Die Parlamentswahl hat die regionale Stimmverteilung ungefähr bestätigt, dazu aber auch unterstrichen, dass es nirgends im Kongo eine integrierende Kraft gibt. In keiner einzigen Provinz hat eine Partei die absolute Mehrheit der Sitze erhalten - auch dort nicht, wo zum Beispiel Kabila als Präsidentschaftskandidat über 80 Prozent holte. Am größten ist die Zersplitterung in der Hauptstadt Kinshasa, wo Bembas MLC mit lediglich 8 von 58 Mandaten stärkste Kraft geworden ist.
Lokalpatriotismus und das Durchsetzen lokaler Führer auf Wahlkreisebene haben die Parlamentswahl geprägt. Gerade in Ostkongos Kriegsgebieten, die meist fast geschlossen für Kabila als Präsident stimmten, haben die Menschen bei der Vergabe der Abgeordnetensitze oft lokalen Gruppierungen und Einzelpersonen den Vorzug gegeben vor nationalen Parteien. In der Provinz Nord-Kivu um die einstige Rebellenhauptstadt Goma, wo Kabilas PPRD mit 15 von 48 Sitzen stärkste Kraft wurde, wählten die Menschen meist entlang ethnischen Linien, sodass in multiethnischen Wahlkreisen Minderheiten manchmal gar keine Vertretung bekamen. Das birgt Konfliktstoff für die Zukunft.
Ethnische Loyalitäten waren auch im nordostkongolesischen Bürgerkriegsdistrikt Ituri stark. Hier gehen drei Sitze an die UPC (Union kongolesischer Patrioten), einst stärkste Miliz des Hema-Volkes, deren früherer Chef Thomas Lubanga als erster Häftling des Internationalen Strafgerichtshofs in einer Den Haager Gefängniszelle auf seinen Prozess wartet.
Wie aus alldem eine funktionierende Regierung entstehen soll, ist den Kongolesen ein Rätsel. Verschärfend kommt hinzu, dass das Oberste Gericht am 6. September die Bestätigung des Endergebnisses der ersten Runde der Präsidentschaftswahl auf unbestimmte Zeit aussetzte und erklärte, erst müssten Verfassungsbeschwerden gegen den Termin der Stichwahl behandelt werden. Die kann damit streng genommen noch nicht angesetzt werden, obwohl die Vorbereitungen längst laufen. So steht der politische Kalender wieder einmal komplett zur Disposition.