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2.6.2006 taz Themen des Tages 180 Zeilen, BETTINA GAUS S. 3
Der Bundestag hat die Entsendung deutscher Soldaten in den Kongo beschlossen - Gegenstimmen kamen aus allen Fraktionen. Denn die Mission kann heikel werden. Aber die Politik sollte endlich auch klären, ob und in welchem deutschen Interesse Soldaten ins Ausland gehen
Noch immer ist die Frage offen, welche Außenpolitik mit Bundeswehreinsätzen umgesetzt wird
VON BETTINA GAUS
Vom Hindukusch bis zum Horn von Afrika und nun also auch noch im Kongo: Was haben wir dort eigentlich zu suchen? Muss das sein? Ist die Bundeswehr auf einen solchen Einsatz in Afrika überhaupt vorbereitet? Der Wehrbeauftragte Reinhold Robbe (SPD) erklärte gestern, "noch nie" sei er bei Soldaten auf "so viel Ablehnung" gestoßen wie im Zusammenhang mit diesem Einsatz. Viele seien verunsichert, weil sie nicht wüssten, was im Kongo auf sie zukomme.
Unmut regt sich nicht nur in den Reihen der Militärs. In fast allen Parteien und in vielen Leitartikeln werden kritische Fragen gestellt. Die Mission im Kongo ist nicht der erste umstrittene Auslandseinsatz der Bundeswehr - aber die Diskussion unterscheidet sich wesentlich von anderen Gelegenheiten. Früher wurden stets Grundsatzfragen erörtert: Soll die Bundeswehr überhaupt außerhalb des Nato-Gebiets agieren wie in Somalia? Darf sie sich an Kriegen beteiligen wie in Jugoslawien oder Afghanistan? Sind weltweite Einsätze mit dem Grundgesetz vereinbar?
Um all das geht es im Zusammenhang mit der Entsendung von 780 Bundeswehrangehörigen nach Afrika nicht. Vordergründig entzündet sich die Skepsis vor allem an - scheinbar - rein logistischen Problemen wie der Überlegung, ob die geringe Zahl der Truppen und die enge zeitliche Begrenzung des Mandats überhaupt einen Beitrag zur Stabilisierung eines so großen, zerrissenen Landes wie des Kongo leisten kann. Dahinter aber steckt die vielleicht grundsätzlichste Frage von allen: nämlich die nach den Grenzen, Aufgaben und Möglichkeiten des Militärs.
Der Glaube daran, dass Militär fast alles zu leisten imstande ist, war nach dem Ende der bipolaren Welt in Deutschland schier ungebrochen - eine Folge der jahrzehntelangen Furcht vor den apokalyptischen Konsequenzen, die ein bewaffneter Konflikt zwischen den einstigen Weltmächten nach sich gezogen hätte. Über die Legitimität von Einsätzen wurde nach der Vereinigung diskutiert. Kaum je aber, ob die behaupteten Ziele wenigstens theoretisch mit militärischen Mitteln überhaupt erreichbar waren.
Daran änderte zunächst auch die Tatsache nichts, dass die verschiedenen Militäroperationen diese Ziele fast alle verfehlten: Weder in Somalia noch in Afghanistan herrschen stabile Verhältnisse, ein Abzug der internationalen Truppen aus dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien würde neue Gewalt nach sich ziehen. Warnungen vor einer Überforderung der Bundeswehr, die hochrangige Offiziere seit Jahren immer lauter äußern, werden dennoch fast nur im Hinblick auf die Etatplanung und auf den Umbau der Streitkräfte zu einer Interventionsarmee beachtet.
Diese Warnungen sind durchaus berechtigt. Es ist für Laien nur schwer nachvollziehbar, wieso eine Armee mit knapp 250.000 Männern und Frauen in Uniform überlastet sein sollte, wenn sich - wie derzeit - insgesamt etwa 6.700 Soldaten an Auslandseinsätzen beteiligen. Fachleute können jedoch überzeugend darlegen, dass es nicht um Quantität, sondern um Qualität geht. Weltweit operierende Truppen brauchen anderes Gerät und andere Experten als eine Armee, die sich - wie die Bundeswehr in den Zeiten des Ost-West-Konflikts - vor allem auf ein stehendes Heer stützt.
Aber selbst wenn Geld im Überfluss vorhanden wäre und die Bundeswehr alles bekäme, was Kommandeure sich überhaupt nur wünschen könnten, wäre damit nicht gesagt, dass das Militär leisten könnte, was die Politik für richtig hält. Was unter anderem daran liegt, dass niemals genau definiert worden ist, was das eigentlich ist.
Staaten wie Großbritannien und Frankreich, die nicht die Verantwortung für zwei Weltkriege tragen, gehen unbefangener mit der Tatsache um, dass ihre Außen- und Sicherheitspolitik vor allem eigenen Interessen dient. In der Bundesrepublik ist hingegen eine offene Diskussion darüber, wie eine interessengeleitete deutsche Außenpolitik aussehen kann und darf, seit der Vereinigung vermieden worden. Stattdessen sprachen Verteidigungsminister, ob sie nun Volker Rühe oder Rudolf Scharping hießen, im Zusammenhang mit Militäreinsätzen gerne wolkig von der "gewachsenen Verantwortung" Deutschlands in der Welt sowie - wieder und wieder - von humanitären Aufgaben, denen man sich nicht entziehen dürfe. Als ob ein Bombenangriff so etwas Ähnliches sei wie die Verteilung von Hilfsgütern.
Erst der Entwurf für das Weißbuch der Bundeswehr, in dem die sicherheitspolitischen Richtlinien für die kommenden Jahre festgeschrieben werden sollen, spricht nun eine deutlichere Sprache: darin wird auch die Sicherung der Rohstoffversorgung als legitimes Ziel benannt. Völlig in Übereinstimmung mit dem Kurs der Nato, aber in auffallendem Gegensatz zur bisherigen schroffen Ablehnung des Verdachts, der Westen habe in den letzten Jahren mehrfach Krieg für Öl geführt.
Das Klima ändert sich. Während einerseits der Glaube an die (fast) unbegrenzten Fähigkeiten des Militärs auch infolge des Irak-Debakels schwindet, wächst andererseits der Wunsch, die Bundeswehr ganz offen für deutsche Wirtschaftsinteressen einsetzen zu dürfen. Der Kongo-Einsatz liegt da nicht im Trend. Weder in der einen noch in der anderen Richtung.