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8.5.2006 taz Themen des Tages 258 Zeilen, DOMINIC JOHNSON S. 5
Es war ein Franzose, der Ende 2005 den Plan für die Entsendung einer EU-Truppe nach Kongo vorlegte. Und es sind französische Unternehmen, die sich derzeit maßgebliche Anteile an den gigantischen Kupferminen des Landes sichern. Eine Pariser Einflussnahme, die Tradition hat
Aus Kinshasa DOMINIC JOHNSON
Kinshasa, Mittwochnachmittag. Schwere schwarze Wagen drängen sich auf dem zentralen Hof der UN-Mission im Kongo (Monuc), pünktlich zum Treffen des hochrangigen Diplomatengremiums, das einmal die Woche den Stand des Friedensprozesses und der kongolesischen Politik bespricht und als informelle Nebenregierung des Kongo gilt. Die Fahrer suchen sich Parkplätze, Botschafter von Ländern wie China oder Angola steigen aus und eilen ins fünfstöckige Hauptquartier der UN in der kongolesischen Hauptstadt. Als Letzter kommt der Botschafter Frankreichs. Sein großer Geländewagen hält in der Mitte des Platzes: Hier kommt der Chef.
Frankreich hat in der Demokratischen Republik Kongo ehrgeizige Ziele. Das riesige Land im Herzen Afrikas ist Objekt intensivster Umarmungsversuche der ansonsten ziemlich desolaten Pariser Afrikadiplomatie. Verloren gegangener Einfluss aus den Zeiten, als Kongo noch Zaire hieß und von Diktator Mobutu Sese Seko ausgeplündert wurde, soll zurückgewonnen werden und damit ein Stück des verblassten französischen Großmachtruhms.
Die geplante EU-Truppe zur Absicherung der Wahlen im Kongo ist davon der Höhepunkt. Vor Ort soll sie geführt werden von General Christian Damay, der bislang Frankreichs Elfte Luftlandebrigade kommandierte. Diese machte sich 1978 mit der Beteiligung an der berüchtigten Entsendung französischer Fallschirmjäger nach Kolwezi im Süden Zaires einen Namen, wo sie im Kampf gegen mutmaßliche kommunistische Rebellen eingesetzt wurde. Der "Absprung über Kolwezi" steht bis heute im kongolesischen Bewusstsein für die außergewöhnlichen Anstrengungen, zu denen ausländische Mächte zur Sicherung ihrer Interessen im Kongo bereit sind.
Der Vorschlag für die Entsendung einer EU-Truppe wurde in der "toten Zeit" zwischen Weihnachten und Silvester 2005 vom französischen UN-Vizegeneralsekretär Jean-Marie Guéhenno offiziell vorgelegt und bei der EU von denselben französischen Planern weiterverfolgt, die bereits 2003 die französisch geführte EU-Truppe "Artemis" im Nordosten des Kongo konzipiert hatten. Frankreichs Präsident Jacques Chirac drängte Bundeskanzlerin Angela Merkel Anfang 2006 zu einer deutschen Führungsrolle und sorgte gleichzeitig dafür, dass mit der Bereitstellung von Frankreichs engsten Afrika-Verbündeten Gabun als Stationierungsland des Gros der EU-Truppenreserve für Kinshasa die tatsächliche Schirmherrschaft Frankreichs gewahrt blieb.
Zu Mobutu-Zeiten war das damalige Zaire, obwohl gar nicht ehemalige Kolonie Frankreichs, ein Teil der französischen Einflusssphäre in Afrika geworden. Dies war die Zeit, in der Frankreich in Afrika einen deutlich neokolonialen Kurs fuhr: Militärinterventionen waren an der Tagesordnung, französische Berater führten faktisch Militär- und Verwaltungsapparate, französische Unternehmer und Diplomaten steuerten die Außen- und Außenwirtschaftspolitik ihrer Exkolonien, deren Währungsreserven in Paris bei der französischen Zentralbank lagen, deren Haushaltsdefizite von Frankreich gedeckt wurden und deren Präsidenten häufig undatierte Blanko-Truppenentsendungsersuchen in Paris hinterlegt hatten. Das ist heute Geschichte, aber die Nostalgie dafür ist in Paris noch immer weit verbreitet.
Über Zaire hatte Frankreich seinen Einfluss über die ehemaligen Kolonialgebiete in West- und Zentralafrika hinaus in Richtung Osten und Süden ausdehnen wollen. Mit allen französischen Präsidenten verstand sich Diktator Mobutu gut: Valéry Giscard d'Estaing schenkte er Diamanten, Jacques Chirac half er mit Millionenspenden in seinem Präsidentschaftswahlkampf 1988, François Mitterrand stellte er 1994 sein Land als Ausgangspunkt für eine dubiose französische Militärintervention im benachbarten Ruanda zur Verfügung, mit der die Verantwortlichen für den dortigen Völkermord an über 800.000 Menschen auf zairisches Gebiet gebracht wurden. Das war der Wendepunkt: Erst 1994 in Ruanda, dann 1997 in Kongo/Zaire fielen die profranzösischen Regime.
Über den Sturz Mobutus fand Paris schnell hinweg. Mobutus Bezwinger Laurent-Désiré Kabila brach rasch mit seinen proamerikanischen Freunden Ruanda und Uganda, und als dieser Bruch 1998 zum Krieg führte, der Kongo zerfiel und Millionen Menschen starben, war Frankreich im UN-Sicherheitsrat der eifrigste Verbündete Kabilas. Frankreich schreibt traditionell alle UN-Resolutionen zum Kongokrieg und hat immer wieder versucht, die internationale Kritik auf die Gegner Kabilas zu richten. Als Laurent-Désiré Kabila am 17. Januar 2001 von seiner Garde ermordet wurde und das Militär seinen Sohn Joseph Kabila als Nachfolger einsetzte, war Chirac der erste ausländische Staatschef, den der 29-jährige neue Herrscher besuchte - nur fünf Tage nach seinem Amtseid am 26. Januar 2001, als er in seiner Antrittsrede bei der Aufzählung seiner Freunde gesagt hatte: "Ich denke insbesondere an Frankreich, dem ich im Namen des kongolesischen Volkes meinen ganzen Dank ausspreche." Der Dank hat sich ausgezahlt. Unter Joseph Kabila, der bei den anstehenden Wahlen seine demokratische Legitimation als gewählter Präsident sucht, sind die französisch-kongolesischen Beziehungen so eng geworden wie selten zuvor. Viermal hat Kabila inzwischen offiziell Chirac in Paris besucht. Frankreich ist der drittgrößte Abnehmer kongolesischer Exporte, hinter Südafrika und Belgien. UN-Diplomaten und kongolesische Beobachter bestätigen, dass Paris immer wieder internationale Kritik an Kabila abschwächt.
Auf politischer Ebene hat Frankreich durch Beraterverträge wachsenden Einfluss in den Institutionen des Kongo gewonnen. Am bedeutsamsten war die Entsendung des französischen Verfassungsgerichtspräsidenten Pierre Mazeaud nach Kinshasa Anfang 2005, mit dem Auftrag, am Entstehen von Kongos neuer Verfassung mitzuwirken. Mazeaud, der in der Vergangenheit bereits in anderen Ländern wie Tschad starke Präsidialverfassungen geschrieben hat, sollte auch im Kongo dafür sorgen, dass Präsident Kabila möglichst viel Macht gegenüber Parlament und Premierminister bekommt. Das meiste davon wurde von Kongos Übergangsparlament wieder gekippt, aber der Pariser Einflusswille war deutlich geworden.
Auf ökonomischer Ebene läuft die Einflussnahme ähnlich ab. Per Beratervertrag mit der Weltbank hat sich das französische Consultingbüro Sofreco, das in zahlreichen ehemaligen französischen Kolonien in Afrika Wirtschaftsreformen plant, das Management von Kongos größtem Unternehmen gesichert - Gécamines, das Bergbauunternehmen, dem theoretisch die gigantischen Kupfer- und Kobaltminen von Katanga gehören und dessen Sanierung als Schlüssel zur Gesundung von Kongos Ökonomie gilt. Die Sofreco-Zusammenarbeit mit der Weltbank ist nicht ganz frei von Interessenkonflikten, denn Sofreco soll zugleich das wichtigste Weltbank-Wiederaufbauprogramm im Kongo namens PMURR evaluieren.
Problematischer für eine effektive Arbeit der Franzosen allerdings ist der Umstand, dass in der Herrschaftszeit Joseph Kabilas nach Schätzungen von Nichtregierungsorganisationen 70 Prozent der Aktiva von Gécamines, darunter fast alle produktiven Bergbaukonzessionen, an private Partner im Ausland gegangen sind - zu Bedingungen, bei denen dem Staat und der lokalen Bevölkerungen nur ein paar Brosamen bleiben. Joseph Kabila ist damit für einen nationalen Ausverkauf verantwortlich, der die oft angeprangerten informellen Mineralienexporte aus Ostkongo zu Zeiten des Krieges in den Schatten stellt.
Aber aus französischer Sicht macht das nichts: Wichtigster der neuen Partner ist der Belgier Georges Forrest, zugleich Frankreichs Honorarkonsul in Katangas Hauptstadt Lubumbashi. Die Forrest-Unternehmensgruppe ist der größte ausländische Arbeitgeber in ganz Kongo und wird von Katangern als Staat im Staate gesehen, dem sich keine Behörde widersetzen kann. Belgische Nichtregierungsorganisationen nennen Forrest als Hauptfinanzierer von Joseph Kabilas Partei PPRD.
In Katanga werden nach Einschätzung von UN-Experten die Wahlen am problematischsten sein wegen der immensen ökonomischen Interessen. Und niemand wird Kongos zukünftigen Wirtschaftsaufbau kontrollieren können, der nicht Gécamines kontrolliert - und da stehen nun französische Interessen an erster Stelle.
Auch auf militärischer Ebene ist Frankreich eifriger tätig geworden als jeder andere der großen ausländischen Partner des Landes. Seit Juni 2005 führt die EU eine Militärmission in Kinshasa, die den Aufbau von Kongos neuer Armee FARDC aus Einheiten früherer Bürgerkriegsarmeen überwacht. Diese Mission EUSEC steht unter Führung des französischen Generals Pierre Joana und stellt Berater im Generalstab und sogar im privaten Büro des kongolesischen Verteidigungsministers. Es gibt darüber hinaus eine EU-Mission zum Aufbau der kongolesischen Polizei, bei der französische Ausbilder den Aufbau einer Gendarmerie vorantreiben.
Menschenrechtler werfen all diesen neuen kongolesischen Sicherheitskräften schwere Übergriffe gegen die Zivilbevölkerung vor. Nun kommt mit der geplanten EU-Eingreiftruppe EUFOR eine dritte EU-Militärmission im Kongo dazu, erneut mit maßgeblicher französischer Beteiligung. Kongolesen werden sich ihren Reim darauf machen, wofür das steht. Und Deutschland muss sich überlegen, wie man im EU-Rahmen mit Frankreich darüber diskutiert.
8.5.2006 taz Themen des Tages 21 Zeilen, D.J. S. 5
Im Kongo sollen am 30. Juli die ersten freien Wahlen seit über vierzig Jahren stattfinden. Die EU will ab diesem Termin vier Monate lang bis zu 1.500 Soldaten in den Kongo schicken, um der bestehenden UN-Mission zu helfen und schnelle Eingreifoperationen durchzuführen. Deutschland stellt in Potsdam das Hauptquartier der Operation unter Generalleutnant Karlheinz Viereck und bis zu 500 Soldaten, die nach dem Willen der Bundesregierung aber nur in Kinshasa zum Einsatz kommen sollen. Frankreich stellt weitere 500 Soldaten und das operative Kommando in Kinshasa, 17 andere EU-Staaten den Rest. Am 17. Mai legt die Bundesregierung das genaue Mandat für das deutsche Kontingent fest. Am 1. Juni soll der Bundestag darüber abstimmen. D.J.