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11.4.2006 taz Ausland 162 Zeilen, ALEX VEIT S. 11
Woran Kongos Friedensprozess krankt: Erstmals stehen Elitesoldaten wegen Meuterei vor Gericht
AUS BUNIA ALEX VEIT
Der Prozess wird täglich von so viel Publikum verfolgt, dass Lautsprecher im Freien aufgestellt werden mussten. Im Gerichtssaal selbst verfolgen die meisten Zuhörer die Verhandlung im Stehen. Seit gut einer Woche verhandelt das Militärgericht in Bunia, Hauptstadt des kriegsgeschüttelten Distrikts Ituri im Nordosten der Demokratischen Republik Kongo, eine Klage gegen 25 Angehörige der kongolesischen Regierungsarmee - Spezialtruppen, die eigentlich zum Kampf gegen Milizen kamen und stattdessen die eigenen Kameraden bekämpften. Der Prozess wirft ein Schlaglicht auf die internen Spaltungen in Kongos neuer Armee FARDC, die den gesamten Friedensprozess des Landes in Frage stellen.
Es war Ende Februar, als FARDC und die UN-Mission im Kongo (Monuc) gemeinsam eine Offensive gegen die Milizenkoalition MRC (Revolutionäre Kongolesische Bewegung) im Süden Ituris starteten. Die MRC, hervorgegangen aus Milizenkämpfern, die sich vor einem Jahr der Demobilisierung durch die UNO entzogen hatten, hatte das Gebiet um die Ortschaft Tchei infiltriert. Angesichts der neuen Stärke der Rebellen flog Monuc "Commandos" der FARDC ein. Diese in Angola ausgebildeten kongolesischen Spezialtruppen bildeten die Speerspitze der Offensive, die von Monuc logistisch und mit schweren Waffen unterstützt wurde. Doch ausgerechnet diese Spezialkräfte, so die Anklage, begaben sich in einen ungeordneten Rückzug und bedrohten schließlich ihre Generäle.
Den Offizieren und Soldaten wird nun die Bedrohung von Offizieren und Feigheit vor dem Feind vorgeworfen. Das Scheitern ihrer Offensive stärkte die MRC, die seitdem größere Gebiete in Ituri unter ihre Kontrolle bringen konnte. Das Ziel der UNO, Ituri bis zu Kongos Wahlen zu befrieden, scheint somit schwer erreichbar.
Der tatsächliche Ablauf der Geschehnisse ist zwischen den angeklagten Offizieren der "Commandos" und General Bob Ngoy, dem Oberbefehlshaber der FARDC in Ituri, umstritten. "General Ngoy hat den Angriff entweder inkompetent geplant, oder er kollaboriert mit den Milizen. Uns wurde die notwendige Munition verweigert, und flankierende Einheiten wurden plötzlich abgezogen, sodass wir auf verlorenem Posten standen", erklärte der höchste Offizier der "Commandos", Oberst Jean Kalenga, in seiner Gefängniszelle der taz. "Trotzdem haben wir uns nur auf den Befehl des Generals hin zurückgezogen. Unsere Soldaten haben nicht gemeutert und auch nicht geplündert."
Die "Commandos" und General Bob Ngoy entstammen verfeindeten Lagern aus den Zeiten des Kongokriegs von 1998 bis 2003. Damals war Bob Ngoy Soldat im ostkongolesischen Goma, Sitz der von Ruanda unterstützten Rebellenbewegung RCD (Kongolesische Sammlung für Demokratie). Hartnäckig hält sich in Bunia das Gerücht, er habe nun Waffen, Munition und Uniformen an die MRC-Rebellen verkauft und die Armeeoffensive absichtlich zum Scheitern gebracht. "Er ist korrupt", so ein Zuschauer des Prozesses. Ein anderer meint: "Ngoy gehörte früher zur RCD-Goma. Jetzt will er die Wahlen verhindern, die seine Partei verlieren würde, indem er den Krieg anfeuert."
General Ngoy selbst nutzte den ersten Prozesstag zu einer persönlichen Erklärung. Seiner Darstellung nach hätten die "Commandos" die Front ohne Not aufgegeben. Nach ihrer wilden Flucht sei er selbst im FARDC-Operationshauptquartier in Aveba bedroht worden und musste durch UN-Truppen vor seinen eigenen Soldaten gerettet werden. Schließlich beschossen die Meuterer sogar einen Monuc-Hubschrauber mit dem zur Beruhigung der Situation eingeflogenen Militärchef der Provinz, General Padiri.
Diese Aussage deckt sich weitgehend mit der Darstellung der Ereignisse durch UN-Oberstleutnant Emdad, Augenzeuge der Ereignisse in Aveba. "Die Commandos haben unsere gepanzerten Fahrzeuge geentert und die Fahrer zum Rückzug gezwungen", sagte der Monuc-Offizier aus Bangladesch der taz. "In Aveba haben sie wild um sich geschossen und unsere Vorräte geplündert. Zwei Tage hatten wir nichts zu essen." Aus Angst, misshandelte Monuc-Soldaten könnten sich gegen die FARDC wehren und so ein Blutbad auslösen, sei die gemeinsame Offensive dann abgebrochen worden.
Oberst Kalenga und seinen Mitangeklagten droht nun die Todesstrafe. Der "Commando"-Chef verlangt eine Verlegung des Prozesses in Kongos Hauptstadt Kinshasa. "Das Gericht ist befangen", sagt er. "Drei der fünf Richter unterstehen der direkten Befehlsgewalt des Generals Ngoy."
UN-Vertreter sind an dem Prozess nicht beteiligt. "Wenn wir Beobachter schicken würden, wäre dies eine Einmischung", so ein Monuc-Sprecher. "Wir befinden uns mit der FARDC in einer Art Ehe, weil dies unser Mandat verlangt. Aber diese Ehe ist leider unglücklich."